Heute verbringen viele Kinder mehr Zeit vor Bildschirmen als draussen in der Natur. Dabei ist Spielen weit mehr als nur Zeitvertrieb. Es ist essenziell für die Entwicklung!
Schon 1899 erkannte der deutsche Philosoph und Psychologe Karl Groos, dass das kindliche Spiel darüber entscheidet, wie sich unsere Instinkte entwickeln. Doch was passiert, wenn diese natürliche Erfahrung durch digitale Medien ersetzt wird? Ich frage mich immer wieder, warum tun sich viele junge Menschen so schwer mit der echten Welt? Ich denke mittlerweile, die Antwort liegt tatsächlich im fehlenden echten Erleben.
Worum geht es?
Groos erkannte, dass Tiere ihre Instinkte direkt nach der Geburt einsetzen können. Menschen aber brauchen Umweltreize, um ihre Fähigkeiten zu aktivieren. Schon lange ist bekannt, dass Spielen dabei die beste Vorbereitung auf das Leben ist. Kinder lernen dabei, sich zu bewegen, Probleme zu lösen und sich auch mit anderen auseinanderzusetzen.
Früher kletterten Kinder auf Bäume, bauten Höhlen oder spielten mit Gleichaltrigen im Freien. Heute sieht das jedoch oft ganz anders aus. Viele verbringen ihre Zeit mit Videospielen oder Social Media. Das ist eine Entwicklung, die ich auch in meiner Praxisarbeit mit Kindern und Jugendlichen immer häufiger beobachte. Sie haben oft Schwierigkeiten, sich in der Welt da draussen zurechtzufinden, sich angenommen zu fühlen und oft haben sie auch das Vertrauen in sich selbst verloren. So viele Regeln und Grenzen, die da existieren und weiterhin immer stärker ausbaut werden. Diese nehmen ihnen die Möglichkeit sich auszuprobieren. Denken wir daran, Rebellion war bereits im Mittelalter ein Mittel gegen äusseren Druck. Was passiert heute?
Die Macht des echten Spiels
Früher war Spielen mit Bewegung, Kreativität und direkter Interaktion verbunden. Heute erleben Kinder das Spiel oft nur noch über Bildschirme. Das führt zu grundlegenden Unterschieden:
- Bewegung fehlt: Während echtes Spielen den Körper aktiviert, bleibt das Spielen am Bildschirm meist eine passive Tätigkeit. Das beeinträchtigt die motorische Entwicklung enorm und wird komplett unterschätzt.
- Soziale Kompetenz leidet: Im echten Spiel lernen Kinder, sich abzusprechen, Konflikte zu lösen, Emotionen zu verstehen und vor allem sie auch zu lesen. Virtuelle Kommunikation ist oft anonym und oberflächlich. Wie vielen Kindern wird heute nachgesagt, sie seien gefühlskalt und können sich nicht ihre Freundinnen und Freunde einfühlen. An eine Regulation der eigenen Emotionen ist gar nicht zu denken.
- Die Fähigkeiten zur Problemlösung werden nicht richtig entwickelt: In Computerspielen gibt es oft vorgefertigte Lösungen. Im echten Leben sind Herausforderungen unvorhersehbar und erfordern kreatives Denken und auch die Fähigkeit mit Niederlagen umgehen zu lernen.
Was passiert, wenn Kinder das freie Spiel nicht erleben?
Viele Jugendliche, die ich in meiner Praxis sehe, tun sich schwer mit Unsicherheiten und sozialen Situationen. Sie hatten oft kaum Gelegenheit, sich spielerisch auszuprobieren, zu scheitern und daraus zu lernen. Das führt dazu, dass sie sich in der realen Welt unsicher fühlen, sich weniger zutrauen und schnell überfordert sind.
Ich wage mal zu sagen, dass wenn das Spiel nicht mehr zur Aktivierung von Instinkten dient, dann verlieren wir einen wichtigen Teil unserer Entwicklung.
Die digitale Welt kann echte Erfahrungen nicht ersetzen und das ist jetzt wirklich ganz wichtig, nein sie kann sie auch nicht simulieren!
Was können wir ändern?
Um Kindern und übrigens auch uns selbst eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen, sollten wir:
- Mehr echtes Spiel ermöglichen: Draussen sein, Dinge anfassen, die Umwelt entdecken und noch viel mehr. All das stärkt Körper und Geist. Das ist bei uns Erwachsenen übrigens genauso wichtig, um auch laufend neue Synapsen im Gehirn zu bilden. Denken wir hierbei an die Forschungen im Bereich der Neuroplastizität.
- Soziale Kontakte fördern: Echte Gespräche und gemeinsames Spielen helfen, Empathie und soziale Kompetenz aufzubauen.
- Digitale Medien bewusst nutzen: Videospiele können unterhaltsam und lehrreich sein, aber sie sollten das echte Leben nicht ersetzen.
Ein Blick in die Zukunft
Wenn wir unseren Kindern nicht mehr den Raum geben, die Welt durch echtes Spiel zu erforschen, nehmen wir ihnen die Chance, sich auf natürliche Weise zu entwickeln und zu lernen. Digitale Medien werden weiterhin eine grosse Rolle in unserem Alltag spielen und das ist auch absolut in Ordnung. Es geht nicht darum, die Technologie zu verteufeln, sondern darum, ein gesundes Gleichgewicht zu schaffen. Kinder brauchen Herausforderungen, Abenteuer und echte Erlebnisse, denn nur so können sie ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln und lernen, mit der Welt da draussen umzugehen und sich zu behaupten.
Die digitale Bequemlichkeit
Die Problematik der digitalen Bequemlichkeit zeigt sich nicht nur im Spiel, sondern auch in anderen Bereichen des Lebens, bspw. beim Lernen und Arbeiten. Mit modernen KI-Tools lassen sich ganze Präsentationen, Aufsätze oder Hausaufgaben mühelos erstellen, ohne dass sich die Kinder und Jugendlichen und natürlich auch die Erwachsenen, wirklich mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Das klingt praktisch, doch es birgt eine grosse, schnell übersehbare Gefahr. Wer nicht mehr selbst recherchiert, strukturiert und formuliert, verpasst den eigentlichen Lernprozess. Wissen bleibt oberflächlich und das tiefe Verständnis fehlt.
Gerade für Kinder und Jugendliche ist es entscheidend, sich selbst mit neuen Themen auseinanderzusetzen und nicht nur vorgefertigte Inhalte zu übernehmen. Echte Bildung entsteht durch aktives Lernen, durch Fehler und durch das Verstehen von Zusammenhängen, nicht durch das einfache Kopieren fertiger Antworten. Was ich in diesem Bereich oft höre sind Aussagen wie, ich könnte diese Leistung sonst gar nicht bringen, ich habe Angst Fehler zu machen, ich habe Angst Fragen zu stellen usw. Unglaublich oder?
Denken wir daran, nur durch eigenes Erleben und Ausprobieren wachsen wir wirklich.
Bildung im Wandel
Die Art und Weise, wie wir lernen, verändert sich laufend. Während früher Bücher, Lehrer, Familie und eigene Erfahrungen die Hauptquellen des Wissens waren, übernehmen heute digitale Technologien eine immer grössere Rolle.
Lernen ist mehr als nur Informationsaufnahme, es bedeutet, sich mit Themen auseinanderzusetzen, kritisch zu denken und vor allem auch Zusammenhänge zu verstehen.
In Zukunft müssen wir eine Bildungsumgebung schaffen, welche Technologie sinnvoll integriert, aber den eigenständigen Denkprozess trotzdem fördert. Kreatives Problemlösen, soziale Intelligenz und die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte selbst zu erarbeiten, sollten im Mittelpunkt stehen. Digitale Hilfsmittel können dabei eine wundervolle Unterstützung sein. Sie dürfen aber niemals das eigenständige Lernen ersetzen.
Am Ende des Tages ist Bildung so viel mehr als nur Wissen, es ist die Fähigkeit, sich in einer immer komplexeren Welt zurechtzufinden. Lassen wir nicht zu, dass Bequemlichkeit diesen Weg behindert.
Die Welt da draussen ist der beste Spielplatz für uns und unsere Kinder!
